Montag, 28. Oktober 2013

Ich staune...


…jeden Tag...

… über die Waschprozedur- wie die Menschen die von Hand oder mit Bürste sauber geschrubbten Kleider auf dem schmutzigen Boden zum Trocknen ausbreiten. Ich staune über Bäume, welche zur Zeit knall violett blühen in der Stadt. Oder die Mangobäume – dass ein so alter, knorriger Baum solche frischen Früchte zustande bringt, finde ich unglaublich. Ich staune über den täglichen Verkehr in dieser Stadt. Die Autos. Mein Gott staune ich über die Autos. Sie fallen fast auseinander und werden trotzdem täglich gebraucht – Pannen hin oder her. Und Tetris spielen können sie, die Madagassen. Selten fällt ein Gepäckstück runter. Ich bin irritiert, wenn hinter einem 4x4 ein Ochsenkarren hermarschiert und ich schmunzle, wenn ich jemanden mit Schweinen spazieren gehen sehe. Ich liebe es, wenn im Bus aus einer Tasche neben mir ein Huhn gackert und bin fasziniert vom Anblick des Hühnermarktes – ob roh oder lebendig – beides ist interessant.
Ich staune über die hunderttausend „Épicerien“ in den Strassen, welche alle das Gleiche und doch zu sehr unterschiedlichen Preisen verkaufen. Ich bewundere die Verkäufer dort, sowie jene mit den kleinen Marktständen am Strassenrand, welche meistens sieben Tage die Woche ganz geduldig auf Kundschaft warten.
Ich finde es faszinierend, das Treiben auf einem Markt zu beobachten. Wie die Verkäufer ihre Wahre in einer Art Singsang anpreisen und wie auf den Tischen mit Kleidern gewühlt und anschliessend gehandelt wird. Ich staune allgemein über die Kleidung der Menschen. Wie kunterbunt sie angezogen sind und wie viel Stiel sie trotzdem haben. Ich staune, wie kaputt und schmutzig die Kleider sein können und trotzdem getragen werden (müssen).
Es bricht mir das Herz, wenn ich Kinder nur in einem Hemd gekleidet am Strassenrand sitzen sehe. Und die Kiste. Die Kiste geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Wie kann eine Familie nachts darin schlafen und am Tag obendrauf einen Marktstand betreiben?
Es macht mich auch traurig, dass auf dem Land fast keine Bäume mehr zu sehen sind und schreien könnte ich, wenn ich sehe, wie Felder abgebrannt werden. Ich staune darüber, wie wenig die Madagassen vorausblicken und hauptsächlich im Moment leben.
Ich staune über die Offenheit der Madagassen, was den eigenen Körper betrifft. Ich finde es befremdend wie die Kinder ganz selbständig die Brust der Mutter erobern - egal wo und wann – ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viele nackte Brüste gesehen!!! – dies, obwohl ich in zwei Vereinen bin und jeweils die Mannschaftsdusche benutze. Ich finde es faszinierend, wie die Kinder in den Tüchern getragen werden und staune über die Selbständigkeit der Kleinkinder – sie tragen schon sehr viel Eigenverantwortung.
Mein Lehrerherz weint, wenn ich den Unterricht in der öffentlichen Schule anschaue. Die hochnäsige und nicht hilfsbereite Art einiger Lehrer, sowie den Frontalunterricht finde ich scheusslich. Und gleichzeitig bewundere ich die Geduld und Ausdauer der Kinder, welche eine ganze Woche lang am Morgen 3 und am Nachmittag 2 Stunden lang die Ziffer 1 auf eine Tafel schreiben ohne Verknüpfung oder sinnvolle Erläuterung dazu zu erhalten.
Ich nerve mich über die Männer, welche mir hinterher „sch-en“ und erst aufhören, wenn ich ihnen eines Blickes würdige. Ich freue mich über Kinder, welche „Bonjour Vazaha“ rufen und dabei ihre Augen leuchten vor Freude. Einfache Gespräche auf Madagassisch machen mich selig - auch wenn sie immer noch sehr einfältig ausfallen.
Ich staune über die Füsse dieser Menschen. Du meine Güte dieses Füsse! Teilweise  ist das ohne Stoff oder Leder rundherum nackt schon gutes Schuhwerk. Ich bin beeindruckt, wie flink sie Barfuss über jeden Untergrund gehen können und sogar Sport Barfuss oder in Flipflops auf sich nehmen. Ich bewundere viele Madagassen, wie flink und graziös sie sich im Alltag bewegen, wie viele Lasten sie auf dem Kopf oder überhaupt tragen können.
Ich bin beeindruckt, wie die Menschen Häuser bauen. Ohne modernes Werkzeug oder grosse Maschinen. Nicht mal einen Akku Borer oder eine Stichsäge haben sie. Ich bin beeindruckt, wie sie Backsteine zuerst transportieren und anschliessend aufschichten (Ein Brett wird auf den Kopf gelegt und oben drauf werden Steine aufgeschichtet – alles ziemlich schnell und graziös – anschliessend wird jeder Stein einzeln von einer Person zur nächsten geworfen, bis er am gewünschten Ort hin gemauert werden kann).
Ich staune über die Unmengen Reis, welche die Menschen hier essen können – einen riesigen Teller gefüllt mit etwas Beilage, wie Kartoffeln, Erbsen, Fleisch etc. im Verhältnis 1:10. Sauce kennen sie nicht.
Ich staune über Alltagsdinge, wie das Waschen, den Coiffeur, den Velomechaniker, die Propaganda für die Präsidentenwahl, die Art und Weise wie Menschen über gesundheitliche Angelegenheiten informiert werden, die Rituale, die Kirchen, die Häuser, meine Nachbarn, die Landschaft und ich staune über Menschen, die, auch wenn ihnen warmes Wasser zur Verfügung steht, sie trotzdem lieber kalt duschen.

Aber am allermeistenn staune ich darüber, dass man sich so schnell an all diese Dinge gewöhnen kann.



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