Freitag, 17. Januar 2014

malahelo (traurig)


Ich weiss gar nicht richtig, wie ich diesem Blogeintrag beginnen soll. Ich bin traurig. Nicht für mich (mir geht’s wunderbar) ich bin traurig für Madagaskar, für die Menschen, die hier wohnen, für die Tiere, die bald keinen Platz mehr finden, für die Pflanzenwelt, für die Kinder, für die Erwachsenen, für die Gemeinschaft, für ihre Denkweise für die Politik… 

Was geschieht nur mit dieser Insel? – frage ich mich seit zwei Tagen ununterbrochen. Ausschlaggebend war folgendes Erlebnis im Zentrum:

Am Mittwochnachmittag verschwand ein Gegenstand der Schule spurlos (Eine Ballpumpe, welche uns meine Handballgspöndli ganz neu geschenkt haben). Anscheinend war das nicht das erste Mal dass so was passierte. Meine Chefin erzählte mir von so vielen Vorfällen, als Spiele, Gegenstände aus der Küche, Kleider, immer wieder Geschenke von Besuchern, haufenweise Geld und sogar Reis verschwand…  

Stell dir vor, wie sich das anfühlen muss, wenn du all dein Herzblut, so viel Zeit, so viel Geld, eigentlich dein ganzes Leben investierst um anderen Menschen zu helfen, diese dich als Dankeschön aber nur beklauen? Wie frustrierend muss das sein? Wie fühlt sich ein Leben an, wenn du keiner Person in deinem Umfeld trauen oder vertrauen kannst? Wenn du immer alle und alles kontrollieren musst, was für dich gemacht wird? (Wir gehen davon aus, dass es eine Lehrperson war, welche die Pumpe mitgehen liess)

Auch ich habe Dinge in diese Richtung erfahren. Nur für mich ist es viel einfacher, weil ich nur ein Jahr hier bin und anschliessend wieder in meine „heile“ Welt zurückkehren darf. Kannst du dich erinnern, dass ich vor meiner Abreise gesagt habe, am meisten fürchte ich mich davor, dass mich die Menschen hier nicht mögen!? Du hast mich ausgelacht und gemeint, das wäre nicht möglich. Lange schien es mir aber, als wäre das tatsächlich der Fall. In der Schule, also unter den Lehrern,  habe ich eigentlich keine Freunde gefunden – oder keine „Richtigen“. Solche wie dich, die sich für mich und mein Herz und nicht nur für mein Geld interessieren. Es schien mir, als würden sie mich nur als den reichen Vazaha sehen, der Geschenke bringt. Dass hinter diesen Geschenken eine Person mit einem Herzen steckt, bedenken sie gar nicht. Sie haben sich halb so sehr für mich interessiert wie ich mich für sie. Vor Weihnachten machte mich das unendlich traurig. Inzwischen verstehe ich es zwar nicht, aber kann mich doch eher davon abgrenzen. Ich glaube, in dieser riesigen Stadt -zur Erinnerung:  es leben hier acht Millionen Menschen auf extrem kleinem Raum - ist das Leben ein täglicher Kampf. Der Hautgedanke vieler Menschen ist Essen. Dann Geld und wenn sie beides haben, wollen sie noch mehr und schlussendlich den Luxus.

Nach dem Vorfall diese Woche, wurde mir einmal mehr bewusst, mit welchen Problemen die Menschen hier zu kämpfen haben. Es ist nicht nur die Armut, es ist auch der Egoismus und hautsächlich die Gier. Ich frage mich, woher das kommt. Liegt es an uns? Weil wir so viel haben, sie das sehen und verständlicherweise das Gleiche wollen? Was ist nur los mit den Menschen, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse über die aller anderen stellen. So extrem, dass es ihnen keine Rolle spielt wenn eine Schule geschlossen wird?  Damit hat die Chefin nämlich gedroht und zwei Tage machte es den Anschein, als würde das tatsächlich eintreffen. Am Donnerstag mussten wir das Mittagessen draussen essen, am Freitag gab es vorerst gar keines. Die Kinder mussten ihre Teller und Finken nach Hause nehmen in der Annahme, dass sie nicht mehr kommen dürfen. Ihr hättet diese Gesichter sehen sollen. Ich hätte heulen können. Jene Kinder haben, wenn sie nicht ins Zentrum kommen dürfen, nichts. Teilweise nicht mal Essen. Diese Kinder und jungen Erwachsenen, die ich so sehr in mein Herz geschlossen habe, weil sie so herzlich liebenswürdig, ehrlich und gleichzeitig so schutzlos sind, leiden alle unter dem Umstand, dass eine Person, welche schon ganz viel hat noch mehr möchte? Wie kann man dem entgegenwirken, wenn es nicht mal was ändert, wenn die Chefin die Polizei ruft und eine Person aus dem Zentrum ins Gefängnis muss? (Das ist alles tatsächlich vorgefallen) 

Zum Glück hat Mirana (die Chefin) so ein gutes Herz. Sie würde es wohl kaum übers Herz bringen, die Schule wirklich zu schliessen. Auch wurde am Freitag doch noch Brot und Bananen gekauft, dass die Kinder nicht hungrig in die Schule zurückkehren mussten. Und das wissen viele der Anwesenden natürlich. Sie wissen, sie wird wütend sein, schlussendlich aber nachgeben und weitermachen wie bis anhin. Davon profitieren sie selbstverständlich liebend gerne.

Was geschieht mit unserer Welt? Du kennst mich. Ich glaube ganz fest an das Gute im Menschen. Auch wenn ich es inzwischen besser weiss – hoffe ich inständig immer noch, dass es keine schlechten Menschen gibt auf dieser Welt. Doch ich merke, wie diese Hoffnung langsam zerbricht. Habe lange Gespräche mit meiner Chefin geführt. Sie hat mir Dinge über dieses Land erzählt… Über die Politik zum Beispiel: Wie viel Geld vom angehenden Präsidenten geklaut und in seine Propaganda investiert wurde. Laut Zeitungen hat er Geld verteilt um die Einheimischen von sich zu überzeugen. Sie hat erzählt, wie der vorhergegangene Präsident geschütztes Rosenholz exportiert hat, wie die Polizei im allgemeinen arbeitet… Einiges habe ich inzwischen auch selber schon erlebt. Wenn du zum Beispiel auf der Strasse überfallen wirst, schauen alle zu und keiner hilft dir (habe das mit meinen Eltern am eigenen Leib erfahren – es war zum Glück nur ein wertloses Armband). Die Polizei knöpfte meiner Mutter und meinem Vater am Flughafen 30‘000 Ariari ab, was eine Meeeeenge Geld ist für einen Madagassen!  Ja, das sind alles Geschichten, die wir kennen. Wir wissen, dass in so vielen Ländern kein Verlass ist auf die Hilfe der Polizei oder des Staates. Aber weil ich nun wahrnehme, wie sehr schlussendlich harmlose, liebenswürdige Menschen darunter leiden, macht es mich doch unendlich traurig. 

Ja und genau diese liebenswürdigen Menschen machen, dass ich gleichzeitig zu meiner Trauer so glücklich bin. Es sind die jungen, handycapierten Erwachsenen im Zentrum, die mit mir lachen, die sich freuen, wenn sie mir begegnen am Morgen, die täglich ihr Bedauern zum Ausdruck bringen, weil ich Tananarivo und somit das Zentrum bereits in vier Wochen verlassen werde. Es sind diese Menschen, von denen ich unglaublich viel lernen darf, die mir zu verstehen geben, wie zufrieden man auch trotz Armut leben kann und die mich so sehr in meinem Herzen berührt haben. 

Durch sie wurde mir einmal mehr bewusst, wie unglaublich viel Glück ich habe in meinem Leben. Wie gut es mir geht in der Schweiz, wie schön es ist, Freunde wie dich zu haben, die auch während meiner Abwesenheit an mich denken, die sich freuen, wenn ich (auch ein bisschen dick) wieder nach Hause komme, denen ich vertrauen, bei denen ich mich ausheulen darf, die mich verstehen, mit denen ich lachen, Dinge unternehmen und so vieles teilen kann. Ich glaube, ich sage dir viel zu wenig oft danke! 

Danke, dass es dich gibt!


So düster und doch so schön